Kolonialapologie und -revanchismus à la AFD
Verstärkt wendet sich die AfD dem deutschen Kolonialismus zu. Ihre Sichtweise auf den Völkermord an den Ovaherero und Nama verdeutlicht exemplarisch ihr kolonialapologetisches und -revanchistisches Bild eindrucksvoll. In einem Antrag an den Bundestag im Dezember 2019 wird, wie zu erwarten, lediglich von einem «Krieg gegen die Herero und Nama» gesprochen. Einen systematischen Völkermord erkennt die AfD, trotz der vorliegenden wissenschaftlichen historischen Arbeiten, nicht.
Im Zusammenhang mit dem Antrag lud die AfD in den Bundestag zu der Veranstaltung »Die Bilanz des deutschen Kolonialismus« ein. Als Experte wurde der Politologe Prof. Bruce Gilley präsentiert, der u.a. den Artikel »The case of colonialism« verfasste. Nach Protest von Wissenschaftler*innen erschien ein Artikel mit seinen Thesen nicht im »Third World Quartely«. In seinem Artikel, beigelegt zur Veranstaltungseinladung, reduziert Gilley den Vernichtungsbefehl als eine persönliche Aussage von Trotha’s und nennt diesen einen „war-traumatized outsider“. Er schreibt: „The reason it is wrong to call this genocide is simply that is was not a systematic, policy-driven aspect of the war: it was a personalistic decision, […] Germans and German policy was not genocidal: Trotha was. He committed a war crime.“ Diese kolonialapologetische Sichtweise korrespondiert mit früheren AfD Aussagen.
Im Juni 2018 gab der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka dem rechten Magazin »Zuerst!«, das sich zunehmend als AfD-Sprachrohr positioniert, ein Interview. Bereits die erste Antwort zum Völkermord verdeutlicht die Kernmerkmale der AfD-Sicht: »Es geht dabei offiziell um die Aufarbeitung des sogenannten Herero-Aufstandes von 1904 bis 1908. Die Regierung in Windhuk ist der Meinung, daß für die Schäden an dem Volk der Herero – das den Krieg übrigens begonnen hat – Entschädigungszahlungen fällig sind. Dabei haben wir seit 1990 870 Millionen Euro Entwicklungshilfe an Namibia gezahlt. […] Diese enorme Summe ist aber in den Taschen irgendwelcher linksradikaler SWAPO-Seilschaften versickert, und jetzt sucht man halt nach neuen Einnahmequellen.«
Ein genauer Blick auf das Interview, den Beitrag von Giley und den Antrag der AfD zeigt die verschiedenen Dimensionen der Argumentationsstruktur: Es handele sich lediglich um einen »Aufstand« oder »Krieg«, nicht um einen Völkermord. Es wird auf die Schuld der Herero verwiesen, ohne das koloniale Unrechtsregime als Ursache auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen. Nach Giley’s Sichtweise überforderte der Kolonialismus die Herero, die sich schließlich zum Aufstand entschieden. Daneben suggeriert Protschka mit dem Adjektiv »offiziell« eine Hidden Agenda, um dann zu behaupten, dass Aufarbeitung nur Geldzahlungen bedeute. Ganz in der Tradition des kolonialen »Wir und die Anderen« haben »wir«, also das ‚deutsche Volk‘, bereits umfangreiche Zahlungen an »sie«, die linksradikalen Seilschaften, geleistet. Und da die Reparationsforderungen »auf einer zweifelhaften Grundlage erhoben werden« müsse diesen nach AfD-Sicht »mit Entschiedenheit entgegenzutreten« sein. Wobei sich die Partei rhetorisch durchaus auf der Linie diverser Äußerungen der Bundesregierung befindet, wenn »Entwicklungshilfezahlungen« als Kompensation für koloniales Unrecht herangezogen wird.
In den kommenden Jahren wird sich die AfD sicherlich verstärkt der kolonialen Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit zuwenden. Ein Aufgabenfeld für antirassistische und postkoloniale Gruppen.