OvaHerero müssen draußen bleiben: Das koloniale Erbe der Berliner Politik und Wissenschaft
Als am 14.10. 2015 gleich mehrere Bundestagsausschüsse über Deutschlands Genozid an den OvaHerero und Nama 1904-08 diskutierten, blieben einer angemeldeten Gruppe von Nachfahren der Opfer die Türen verschlossen. Auch die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) gewährte den Ahnen- und Genozidforscher/innen nur widerwillig Zutritt zu ihrer umfangreichen Sammlung menschlicher Gebeine aus der Kolonialzeit.
© Fotoreportage von Denis Barthel
Auf Einladung des NGO-Bündnisses „Völkermord verjährt nicht!“ trafen am, 11.10. Vepuka Kauari und Barnabas Katuuo von der Ovaherero-Ovambanderu Genocide Association in the USA (OGA) sowie Dr. Kavemuii Murangi und Jephta Nguherimo vom OvaHerero/Mbanderu and Nama Genocides Institute (ONGI) in Berlin ein. Die Vertreter/innen der amerikanischen Herero-Diaspora berichteten am Colonial Reparation Day (12.10.) in Hamburg und Berlin über die massiven Nachwirkungen des Völkermords und des Landraubs an ihren Vorfahren. Sie forderten Deutschland zu Verhandlungen über symbolische und materielle Reparationen mit den betroffenen Gemeinschaften der Ovaherero und Nama auf.
Für die nachfolgenden Tage hatten die Gäste Zugang zur anthropologischen Rudolf-Virchow-Sammlung der BGAEU im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz beantragt, um die zu rassistischen Forschungen aus der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ verschleppten Gebeine ihrer Ahnen zu besichtigen. Zudem beabsichtigten sie, an den Diskussionen über die Oppositionsanträge zum kolonialen Völkermord in den zuständigen Bundestagsausschüssen für Auswärtige Angelegenheiten, für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie für Menschenrechte teilzunehmen.
Doch den parlamentarischen Ausschüssen und Institutionen in Berlin, die nicht müde werden zu versichern, dass sie sich ihrer historischen und ethischen Verantwortung bewusst wären, waren die OvaHereros keineswegs willkommen. So lehnte anfangs Prof. Wolfram Schier (FU Berlin), der Präsident der BGAEU, die auch außereuropäische menschliche Schädel und Gebeine im Internet zu Forschungen anbietet, die Besuchsanfrage der OvaHereros ab. Die Gesellschaft, hieß es in einer kurzen Mail, könne „einen wissenschaftlichen Zweck der Besichtigung oder Untersuchung der menschlichen Gebeine nicht erkennen“. Erst als die Ausgeladenen vor Ort erschienen, wurde eine Besichtigung der einst von Rudolf Virchow angeforderten menschlichen Überreste aus Namibia möglich. Darunter befinden sich neben mehreren Ovaherero-Gebeinen auch die Skelette von zwei namentlich bekannten Nama.
In den Bundestagsausschüssen empfing man die OvaHereros bis zum Ende nicht: MdB Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) antwortete auf ihre (englische) Anfrage in Deutsch: „Die Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages sind NICHT ÖFFENTLICH.“ Wenig später folgte auch die Absage der anderen beiden Ausschüsse, die weder ein Rederecht noch einen Beobachterstatus gewähren wollten. Der Berliner Ovaherero-Aktivist Israel Kaunatjike vom Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“ kommentierte: „Es ist unglaublich, wie wir OvaHereros in Deutschland behandelt werden: Im Juli hat uns der Bundespräsident vor der Tür abgefertigt. Nun schließt man uns von den Genozid-Debatten in den Bundestagsausschüssen aus und auch die namibisch-deutschen Verhandlungen zum Thema laufen bislang komplett über unsere Köpfe hinweg!“.
Einzig von der Parlamentariergruppe SADC-Staaten wurde die OvaHerero-Delegation am 15.10. im Bundestag empfangen. Doch auch hier wurde auf eine beschämende Art und Weise deutlich, dass es auf deutscher Seite noch immer wenig Interesse an einem respektvollen Dialog mit den Nachfahren der Genozidopfer besteht. So erschienen neben dem einladenden stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses, MdB Niema Movassat (DIE LINKE), keine weiteren Bundestagsabgeordneten zu dem Gespräch. Movassat signalisierte seine Unterstützung für das Anliegen der OvaHerero und sagte zu, Bundesaußenminister Steinmeier einen Brief zu schreiben, um der Forderung nach Einbeziehung der direkt vom Genozid betroffenen Communities in die laufenden Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Republik Namibia Nachdruck zu verleihen.
[huge_it_videogallery id=“2″]
Veranstaltungen des Besuchsprogramms „Not about us without us!“ 12.-14.10.2015:
12.10.2015 um 17:00 Uhr im Sonnin-Saal im Haus der Patriotischen Gesellschaft, Trostbrücke 6, 20457 Hamburg: Podiumsdiskussion mit Dr. Kavemuii Murangi, Jephta Nguherimo vom OvaHerero/Mbanderu and Nama Genocides Institute (ONGI) und Prof. Jürgen Zimmerer von der Uni Hamburg, Moderation: Anke Schwarzer vom Eine Welt Netzwerk Hamburg
12.10.2015 um 19:30 Uhr im Betahaus Berlin, Prinzessinnenstraße 19/20: Panel mit Vepuka Kauari und Barnabas Katuuo von der Ovaherero-Ovambanderu Genocide Association in the USA (OGA) sowie Prof. Reinhart Kößler, Moderation: Nicolai Röschert (AfricAvenir) vom Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“
13.10.2015 um 10:00 Uhr auf dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm 122, 10965 Berlin: Gemeinsamer Besuch des „Namibia-Steins“ und Ehrung der Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia und des Genozids von 1904-08
13.10.2015 um 13:00 Uhr, Besuch der Geschäftsstelle der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU), Museum für Vor- und Frühgeschichte, Geschwister-Scholl-Str. 6, 10117 Berlin
13.10.2015 um 19:00 Uhr in der Galerie Scriptings, Kameruner Straße 47, 13351 Berlin: Praxisworkshop mit den Herero-Aktivist/innen, Moderation: Tahir Della (ISD) und Christian Kopp (Berlin Postkolonial) vom Bündnis „Völkermord verjährt nicht“
14.10.2015 um 12:00 Uhr am Haupteingang des Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin: Gemeinsame Protestkundgebung
15.10.2015 um 10:00 Uhr: Diskussion in der Parlamentariergruppe SADC-Staaten des Bundestags auf Einladung und unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden Niema Movassat (DIE LINKE)
15.10.2015: Besuch der Rudolf-Virchow-Sammlung im Außendepot des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Friedrichshagen