21.10.16 | PM: Forderung des 1. Kongresses zum Genozid an den Herero und Nama in Berlin
Berlin Postkolonial und Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“
Pressemitteilung | 21.10.2016 | English version of the press release here
Forderung des 1. Kongresses zum Genozid an den Herero und Nama in Berlin: Versöhnung braucht Dialogbereitschaft und Respekt
Bewegender Empfang für die vom Berliner Kongress zurückkehrenden Herero- und Nama-Delegierten in Windhoek/Namibia. In einer gemeinsamen Resolution fordern die Kongressteilnehmenden die direkte Beteiligung der Herero und Nama an allen Verhandlungen mit Deutschland zum Völkermord und die weltweite Anerkennung des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts
Am Dienstag, 18.10., ist ein Großteil der Herero- und Namadelegierten vom ersten Transnationalen Nichtregierungskongress zum Völkermord 1904-08 in Berlin mit dem Titel „RESTORATIVE JUSTICE AFTER GENOCIDE“ nach Namibia zurückgekehrt und von zahlreichen Anhänger_innen auf dem Flugplatz in Windhoek stürmisch empfangen worden. Auf Einladung von Berlin Postkolonial, AfricAvenir und dem NGO-Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“ waren mehr als 50 Herero- und Nama-Vertreter aus Namibia, den USA, Kanada und Großbritannien mit über 100 Vertreter_innen der Zivilgesellschaft in Deutschland zu einem ersten Kongress dieser Art zusammengekommen. Der Ovaherero Paramount Chief Vekuii Rukoro lud alle Herero für Sonntag, den 23.10., nach Okahandja ein, um über den Berliner Kongress am letzten Wochenende Bericht zu erstatten.
In zahlreichen Kongressreden, auf zwei eindrucksvollen Kundgebungen in Berlins Mitte, einer von MdB Niema Movassat (Die LINKE) organisierten Pressekonferenz und einem Arbeitstreffen mit Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag machten die Vertreter_innen der Herero- und Nama-Verbände unmißverständlich deutlich, dass es Versöhnung nur auf der Basis ihrer direkten und bedingungslosen Beteiligung an den schon seit 2014 laufenden Verhandlungen zwischen der namibischen und deutschen Regierung zum Genozid an ihren Gemeinschaften geben kann. Sie betonten, dass die beiden Regierungen den entsprechenden Beschluß des namibischen Parlaments vom 26. Oktober 2006 als die alleingültige Grundlage von neu zu beginnenden Verhandlungen anerkennen und die international garantierten Rechte der betroffenen Gemeinschaften wahren müssten.
In enger Zusammenarbeit mit afrikanischen, Schwarzen und kolonialismuskritischen Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland erarbeiteten die Herero- und Nama-Delegierten in Berlin eine gemeinsame Kongressresolution, in der die kritische Auseinandersetzung mit dem Völkermord zu einer globalen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabe erklärt wird. Neben einer offiziellen Anerkennung des Genozids, einer aufrichtigen Bitte um Entschuldigung von deutscher Seite und Wiedergutmachungsverhandlungen unter direkter Beteiligung der Repräsentant_innen der Herero und Nama aus Namibia und aus der Diaspora wird daher auch eine kritische Beobachtung des verlangten Trialogs durch Nichtregierungsorganisationen gefordert.
Zudem werden Unternehmen, die am Genozid und an der Zwangsarbeit von Herero und Nama unmittelbar verdient haben (bspw. Deutsche Bank, Wecke &Voigts, Woermann), aufgerufen, sich an der Entschädigung der damals komplett enteigneten und von ihrem Land vertriebenen Gemeinschaften zu beteiligen. Die Kongressresolution appelliert an die Nationalstaaten der Welt, an die Afrikanische Union, an die Vereinten Nationen und an die zum Teil in den Völkermord involvierten christlichen Kirchen, die derzeit laufende UN Decade for People of African Descent zum Anlass zu nehmen, den Herero- und Nama-Genozid offiziell anzuerkennen und die Betroffenen in ihrem gerechten Kampf für Anerkennung, Entschuldigung und direkte Teilhabe an den exklusiven Regierungsverhandlungen zu unterstützen.
Die Kongressresolution wird in den kommenden Tagen an die namibische und an die deutsche Regierung, an die UNO, an die politischen Parteien, involvierte Unternehmen und and die Kirchen übergeben werden. Nach Auffassung des in Berlin lebenden Herero Israel Kaunatjike vom Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“ bedeutet der Kongress „einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Ausweitung unseres jahrzehntelangen Kampfes für Gerechtigkeit“. Im Rahmen der erfolgreichen Bündnis-Kampagne „Völkermord ist Völkermord“ hatten sich bereits 2015 mehr als 50 zivilgesellschaftliche Vereine und Verbände sowie mehr als 150 Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft in Deutschland hinter die Forderungen der Herero und Nama nach direkter Teilhabe an allen Verhandlungen zum Genozid gestellt.
Die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) schickte zum aktuellen Berliner Kongress ein Grußwort, in dem sie sich u.a. für die symbolische und materielle Entschädigung der Herero und Nama („moral and financial compensation“) aussprach. Hingegen war der ebenfalls eingeladene Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Ruprecht Polenz (CDU), nicht bereit, an einer Podiumsdiskussion mit Herero- und Namavertreter_innen teilzunehmen oder die Delegierten während ihres fast einwöchigen Aufenthaltes in Berlin zu empfangen.
Kontakt: Israel Kaunatjike, Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“, 0173-1035605 & Christian Kopp, Berlin Postkolonial, 0179-9100 976, buero[at]berlin-postkolonial.de
Kongressresolution | Congress resolution
Kongressdokumentation (hier) | Congress documentation (here)